Prof. Martina Rauner und Dr. Ulrike Baschant erhalten den Eva-Luise-Köhler Preis

line

Dresden, 11.02.2020

Eva Luise Köhler zeichnet Prof. Martina Rauner und Dr. Ulrike Baschant für ihre Forschung zu seltener Knochenerkrankung aus – Seltener Gendefekt führt zu Verknöcherung des Bindegewebes –

Dort, wo gestern noch Muskeln und Bindegewebe waren, ist heute plötzlich Knochen – was klingt, als sei es einer verstörenden Novelle Franz Kafkas entnommen, erleben die Betroffenen von Fibrodysplasia Ossificans Progressiva (FOP) als grausame Realität. Durch einen Gendefekt bildet ihr Körper bei der Wundheilung kein Narbengewebe, sondern Knochen. Selbst kleine Verletzungen können dazu führen, dass Gelenke plötzlich unbeweglich werden und sich der Körper langsam versteift. Angesichts neuer Erfolge in der Grundlagenforschung dürfen die rund 800 Betroffenen weltweit neue Hoffnungen schöpfen. Für einen vielversprechenden neuen Therapieansatz, der die fortschreitende Verknöcherung hemmen könnte, zeichnet Eva Luise Köhler am 27. Februar 2020 in Berlin Prof. Dr. Martina Rauner und Frau Dr. Ulrike Baschant von der Medizinischen Fakultät der TU Dresden aus. Mit dem Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro werden sie mit einem internationalen Team die Wirkungsweise eines kürzlich entdeckten Proteins, das die überschießende Knochenbildung hemmt, in genetisch veränderten FOP-Mäusen überprüfen.

Eine frühzeitige Diagnose und die Begleitung durch erfahrene Ärzte, die mit den richtigen Behandlungsstrategien vertraut sind, könne viel unnötiges Leid ersparen, erläutert Nadine Großmann, die im Alter von 13 Jahren ihre FOP-Diagnose erhielt. Viele Ärzte wüssten beispielsweise nicht, dass chirurgische Eingriffe unter allen Umständen vermieden werden müssen, weil sie massive Knochenschübe auslösen können. Dramatische Folgen hatte für sie beispielsweise eine Kiefer-Operation, nach der sie innerhalb weniger Tage ihren Mund nur noch 2 mm weit öffnen konnte. Der nächste Krankheitsschub versteifte spontan die rechte Schulter.

Ein überraschender Therapieansatz

Auf der Suche nach Therapieoptionen, die die fortschreitende Verknöcherung des Bindegewebes gezielt hemmen könnten, untersuchten die Wissenschaftler im „Bone Lab“ der TU Dresden im vergangenen Jahr auch das Wechselspiel zwischen dem Eisen- und dem Knochenstoffwechsel – zwei auf den ersten Blick unverwandte Systeme. Dass sich dabei ausgerechnet Transferrinrezeptor-2 (Tfr2) – ein Eiweißmolekül, das überwiegend in der Leber gebildet wird und für den Eisentransport verantwortlich ist – als äußerst wirkungsvolles Regulativ im entgleisten Knochenstoffwechsel von FOP-Zellen entpuppte, erstaunte selbst Martina Rauner, die sich bereits seit Jahren dem Studium von seltenen Knochenkrankheiten widmet: „Als wir gesehen haben, wie potent die Bindungsregion von Tfr2 die ungewünschten Ossifikationen, also das überschießenden Knochenwachstum, hemmte, war uns klar, dass diese Entdeckung Potenzial für die klinische Weiterentwicklung hat.“

Eva Luise Köhler verleiht am 27.2.2020 den nach ihr benannten Forschungspreis

Prof. Dr. Martina Rauner und Frau Dr. Ulrike Baschant von der Medizinischen Fakultät der TU Dresden verfolgen einen vielversprechenden neuen Therapieansatz auf Basis des Transferrinrezeptor-2 (Tfr2). Dieses Eiweißmolekül wird überwiegend in der Leber gebildet und ist für den Eisentransport verantwortlich. Die Forscherinnen haben ein rekombinantes, lösliches Tfr2ECD entwickelt, welches in das von FOP betroffene Gewebe injiziert werden kann. Hier bindet es an überschüssige BMPs und neutralisiert sie. Erste Tests verliefen bereits sehr ermutigend.

Mausmodell der Erkrankung macht Forschung möglich

Das therapeutische Konzept soll jetzt an genetisch veränderten Mäusen überprüfen werden, die eine befreundete Arbeitsgruppe um Prof. Eileen Shore von der University of Pennsylvania in den USA beisteuert. Bei diesen Mausmodellen ist ebenso wie bei Patienten mit FOP, durch eine seltene Mutation im ACVR1-Gen, der BMP-Signalweg überaktiviert. Im Rahmen des von der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung geförderten Projekts kann nun detailliert untersucht werden, wie die Substanz auf den BMP-Signalweg einwirkt und welche Effekte dies auf die Mineralisation im Mausmodell hat. Auf dieser Grundlage könnte dann zeitnah eine erste klinische Studie in Angriff genommen werden. Wenn durch klinische Studien die Wirksamkeit und Sicherheit der Substanz belegt werden kann, könnte in 8 bis 12 Jahren ein zugelassenes Medikament auf Basis von rekombinantem, löslichen Tfr2ECD zur Verfügung stehen. Dieses würde FOP-Betroffenen beispielsweise direkt nach kleineren Unfällen appliziert, um die Auslösung eines Krankheitsschubes zu verhindern.

Der Eva Luise Köhler Forschungspreis für Seltene Erkrankungen wird am 27.02.2020 an Prof. Dr. Martina Rauner und Dr. Ulrike Baschant überreicht.